Forschungsprojekt SCURA

Hier finden Sie Einblicke in das Forschungsprojekt SCURA. Zum Hintergrund, der Methodik, den zentralen Ergebnisse und wie diese Erkenntnisse in der Entwicklung der Fortbildung und Ideensammlung genutzt wurden. Viel Freude beim Stöbern.


Hintergrund und methodisches Vorgehen

Hintergrund

Warum Gesundheitskompetenz von zugewanderten Menschen in DaZ-Kursen erforschen?

Gesundheitskompetenz spielt eine wichtige Rolle ...

beim Gespräch mit dem Arzt/der Ärztin, aber auch bei unseren gesundheitsbezogenen Entscheidungen im Alltag. Doch gerade (neu-)zugewanderte Menschen sind häufig mit sprachlichen, kulturellen und gesundheitskompetenzbezogenen Herausforderungen konfrontiert. Verschiedene Programme und Maßnahmen wurden entwickelt, um zugewanderte Menschen zu unterstützen z. B. Dolmetscher:innen, übersetzte Materialien etc. Allerdings verbleiben dabei zwei Schwierigkeiten: viele zugewanderte Menschen werden durch diese Angebote nicht erreicht und die Angebote vermitteln meist nur Informationen und  fördern selten das eigenständige Handeln und Kommunizieren. Als ein vielversprechender Ansatz zur Verbesserung der Gesundheitskompetenz werden daher Sprach- und Integrationskurse von der Weltgesundheitsorganisation und verschiedene Studien vorgeschlagen. Zugleich ist Gesundheit in Sprachkursen kein unbekanntes Thema. Einerseits vermitteln Sprachkurse bereits schon seit langem den Teilnehmenden Sprachkompetenzen im Handlungsfeld Gesundheit/medizinische Versorgung und andererseits bewerten Teilnehmende das Thema Gesundheit als das zweitwichtigste Thema im Kurs.

Doch können Sprach- und Integrationskurse zur Förderung von Gesundheitskompetenz beitragen und wenn ja, wie?

Diese Fragen waren bislang empirisch nicht erforscht. Es ist jedoch notwendig, detaillierte Antworten darauf zu haben, um effektiv und bewusster die Gesundheitskompetenz von zugewanderten Menschen fördern zu können. 

Aufgrund des Fehlens von empirischen Daten wurde im Forschungsprojekt SCURA die Rolle von Gesundheit und Gesundheitskompetenz in Sprach- und Integrationskursen zunächst umfassend erforscht. Anschließend wurden geeignete Maßnahmen zur Unterstützung von DaZ-Kursleitenden zur Förderung von Gesundheitskompetenz entwickelt, die Sie auf dieser Seite finden.

Methoden

Doch wie kann die Förderung von Gesundheitskompetenz in DaZ-Kursen erfasst werden?

Das ist komplex, deswegen wählten einen multiperspektivischen, ethnografischen Ansatz ...
… Da es bislang keine klare Beschreibung und Definition von Gesundheit und Gesundheitskompetenz in Sprach- und Integrationskursen gab, musste dies grundlegend in seiner Gesamtheit und Vielschichtigkeit erforscht werden. Der geeignetste Ansatz, um die Erkenntnisse zu gewinnen, ist hierbei die Ethnografie, weil sie es ermöglicht, aus vielen Perspektiven und unter Hinzunahme verschiedener Daten ein Thema umfassend zu erhellen. Im Forschungsprojekt SCURA wurde zu erst eine umfassende systematische Literaturrecherche durchgeführt und ein Realistic Review zur Wirksamkeit von Gesundheitskompetenzförderung in Kursen zum Zweitsprachenerwerb sowie ein Scoping Review zur Erfassung der verschiedenen Herangehensweisen und Übungen zur Förderung von Gesundheitskompetenz angefertigt. Daraufhin wurde die Perspektive der Kursleitenden und Institutionsleitungen in qualitativen Expert:innen-Interviews und einer Online-Befragung unter Lehrkräften von Erstorientierungskursen erfasst. Des Weiteren wurden zwei Sprachkurse teilnehmend beobachtet und Gespräche mit den Teilnehmer:innen geführt. Aufgrund der hohen Bedeutung, die die Dozierenden den Lehrwerken beimessen, wurde eine detaillierte Lehrwerksanalyse durchgeführt. Ferner wurden umfassende Recherchen zu gesundheitsbezogenen Informationsmaterialien angestellt und zusammengetragen. Die Erkenntnisse aus all diesen Studien flossen in die Ausarbeitung der Ideensammlung ein. Weiterhin wurden alle erhobenen Daten zusammen betrachtet, um die Fortbildung für Dozierende entwickelt.


Ergebnisse

Kann Gesundheitskompetenz in Sprachkursen verbessert werden? (Realistic Review)

Jain, auf die Nachhaltigkeit kommt es an ...

Die Entwicklung von Programmen zur Förderung von Gesundheitskompetenz in Sprach- und Integrationskursen ist nur sinnvoll, wenn diese auch wirksam sind. Daher war es wichtig zu Beginn des Forschungsprojektes die Frage zu beantworten, ob die Gesundheitskompetenz in Sprachkursen  tatsächlich verbessert werden kann. Ein gängiges Verfahren in Public Health ist es ein systematische Übersichtsarbeiten von Studien zu erstellen, die den Effekt von verschiedenen Programmen zusammenführen. Allerdings sind die Programme zur Förderung von Gesundheitskompetenz sehr vielfältig und kontextabhängig, weswegen die einzige Betrachtung der quantitativen Ergebnisse nicht zufriedenstellend und wenig aussagekräftig ist. Zielführender ist es zur Analyse dieser komplexen Intervention, eine Übersichtsarbeit nach der Methode des Realistic Review (nach Pawson 2009) anzufertigen. Hierbei wird neben dem Effekt einer Intervention (Sprachkurs) auf das Outcome (Level der Gesundheitskompetenz) auch der Kontext genau betrachtet. Zudem können auch verschiedene  Studientypen  (z. B. quantitative und qualitative Studien sowie Berichte) eingeschlossen werden. Das Ziel dieses Realistic Review war, herauszuarbeiten, wie Gesundheitskompetenz verstanden wird und ob und unter welchen Bedingungen Sprachkurse Gesundheitskompetenz verbessern können. Zudem sollte gestützt auf diese wissenschaftlichen Erkenntnisse ein Wirkungsmodell entwickelt werden.

Nach einer systematische Literaturrecherche auf 7 wissenschaftlichen Datenbanken wurden 21 Artikel von insgesamt 13 Interventionen eingeschlossen. 

Ergebnis: Die 13 Interventionen richten sich zwar alle an English as a second language Lernende, weisen aber eine große Heterogenität bzgl. der Beschreibung der Zielgruppe, der Inhalte sowie der methodischen Umsetzung auf. Dies zeigte, dass es nicht ein Standardmodell der Förderung von GK in Sprachkursen gibt, sondern verschiedene Modelle parallel existieren.

Die Frage, ob Sprachkurse die Gesundheitskompetenz erfolgreich verbessern können, wird von allen Studien einheitlich belegt. Allerdings wurden einerseits zur Erfassung des Effekts verschiedene Methoden verwendet, welche einen Vergleich erschweren und andererseits wird der Begriff Gesundheitskompetenz nicht einheitlich verwendet, sondern wird für sieben unterschiedliche Komponenten genutzt: sprachliche Fertigkeiten, Wissen, Verhalten, kognitive Fähigkeiten, selbstbezogene Fähigkeiten, soziale Fähigkeiten, und Fähigkeiten, um sich zu vernetzen. Nur wenige Studien untersuchten neben der Verbesserung der GK auch die Verbesserung der Sprachkompetenz und kamen zum Ergebnis, dass die Sprachkompetenz zwar gefördert wird, jedoch nicht immer ausreichend genug, um das nächste Sprachniveau zu erreichen.

Ähnlich der Heterogenität in dem Verständnis von Gesundheitskompetenz berichteten die Studien auch von mannigfaltige Methoden: vom Sprechen über Gesundheitsthemen, Rollenspielen, dem Einladen eines Referenten über das Einüben des Lesens der Nährstofftabelle auf Nahrungsmitteln bis hin zu Geschichten. 

Die Analyse nach förderlichen Faktoren für den Erwerb von Gesundheitskompetenz ergab, dass die Beziehungen (untereinander und zur Lehrperson), Selbstbewusstsein, interaktive Aufgaben, der Einbezug von Erstsprachen und Kultur (durch Erfahrungsgeschichten und Statements) sowie die Zusammenarbeit mit medizinischem Personal (z.B. Gast-Referent, Mock-Klinik: Einüben des Arzt-Patientengespräch mit Medizinstudierenden, oder auch Testungen (Blut-Tests)) dienlich sind.

Des Weiteren verweisen die qualitativen Studien auf Aspekte, die die Wirksamkeit der gesundheitsbezogenen Unterrichtseinheiten begünstigen. Dieses sind die Auswahl und Adaptation der Unterrichtseinheiten bezogen auf das Interesse, den Kenntnis- und Sprachstand der Zielgruppe, die Flexibilität und ein Sammelsurium an Unterrichtsideen. 

Jedoch führten die Studien an, dass für eine nachhaltige Verankerung von Gesundheitskompetenz in Sprachkursen die institutionelle Unterstützung, eine Verankerung der Inhalte in den Curricula und die Förderung der Dozierenden z.B. durch Materialien, Supervision und Fortbildung. 

Das Realistic Review gab sehr gute Einblicke in die Wirksamkeit der Gesundheitskompetenz in Sprachkursen und die relevanten Faktoren. Diese wurden bei der Planung der Fortbildung und der Webseite aufgegriffen.

Was ist Gesundheitskompetenz in Sprachkursen und wie wird es gefördert? (Scoping Study)

Zahlreiche Möglichkeiten bestehen, doch die besten drei sind ...

… die Fokussierung auf die sprachlichen Kompetenzen, die Vermittlung von Wissen/Informationen und die Förderung von Life Skills.

Sprachkurse sind sehr heterogen hinsichtlich der einzelnen Teilnehmer:innen, der Kurszusammensetzung, der Bildungsinstitution aber auch in der Auswahl der einzelnen Themen und Handlungssituationen und deren didaktisch-methodischer Aufbereitung. Deswegen war es zu Beginn des SCURA Projektes bedeutsam zu erfassen, wie Gesundheitskompetenz in den verschiedenen Lehrwerken konkret gefördert werden kann. Durch diese Erkenntnisse können anschließend gut begründete Empfehlungen für Dozierende und Lehrwerksverlage zur Förderung der Gesundheitskompetenz gegeben werden. 

Zur Erfassung der Aktivitäten zur Förderung von Gesundheitskompetenz in Kursen zum Zweitspracherwerb wurde eine Scoping Study (Arksey/O’Malley 2009) durchgeführt. Diese begann mit einer systematische Literaturrecherche nach Manualen zum Thema  auf 7 wissenschaftlichen Datenbanken sowie mit einer freie Internetrecherche. Die gefundenen Dokumente wurden umfassend gesichtet und anhand der Auswahlkriterien geprüft, sodass schlussendlich 22 Manuale eingeschlossen wurden. Daraufhin wurde in einer qualitativen Inhaltsanalyse (Kuchartz 2021) die einzelnen Manuale inhaltlich sehr genau erforscht (nach Themen, Methoden, Progression) und sowohl einzeln als auch in einer Gesamtschau übergreifend analysiert und abschließend beurteilt.

Ergebnisse: 

Vielerlei Themen zu Gesundheit werden aufgegriffen: Überwiegend wird das Gespräch mit dem Arzt, Ernährung und Bewegung thematisiert  aber auch Medikamentenkonsum, Entspannung. Einzelne Manuale gehen darüber hinaus auch auf spezifische Themen genauer ein z. B. Kindergesundheit, Kardiovaskuläre Erkrankungen bis hin zur ausführlichen Besprechung der Belastungen am Arbeitsplatz und gesundheitlicher Ungleichheit. 

Die verwendeten Methoden sind außerordentlich vielfältig und beginnen von Wort-Bild-Zuordnungs-Aufgaben, über Nachsprechaufgaben über den Besuch beim Gesundheitszentrum, Tipps zum Finden neuer Freunde bis hin zur kritischen Analyse der eigenen Lebensbedingungen.

Die Manuale unterscheiden sich in drei Hauptausrichtungen (nicht Typen), sprachlich, inhaltlich, Lebenskompetenz. Und den jeweiligen Methoden, gewählten Themen, Rollenverständnissen der Dozierende und Lernende.

Kurse, die in besonderem Maße dem Erwerb der Sprachkompetenz dienen, integrierten viele Übungen zur Aussprache, zum Schreiben, zu Rollenspielen etc. auf.

Kurse, die besonders Informationen/Inhalte vermitteln möchten, arbeiteten mit Broschüren, stellten (inhaltliche) Verständnisfragen, übersetzten die Informationen in die Erstsprache etc. übten aber selten Redemittel ein.

Kurs, die einen großen Wert auf die Förderung der Life Skills legten, diskutierten die Lebensgeschichten von anderen zugewanderten Menschen, gaben Tipps, wie man mit dem Stress umgehen kann und sich in einem neuen (sozialen) Lebensraum zurechtfinden kann und für sich und die eigenen Anliegen eintreten kann.

Keines der Manuale hatte nur eine einzige Ausrichtung, sondern integrierte in unterschiedlichem Maße auch Anteile der anderen.

Weiterhin wurde genau analysiert, ob die Lehrwerke ressourcenorientiert sind und das Prinzip des Anschlusslernens/Anknüpfens aufgreifen. Hierbei zeigte sich, dass die meisten Lehrwerke zwar an den bereits bestehenden Kompetenzen in der Zweitsprache anknüpften, jedoch die Erstsprache nur vereinzelt als Ressource betrachteten und einbezogen wird. Ebenso wird die Kultur d.h. die präferierte Lebensweise lediglich in einzelnen Manualen aufgegriffen. Erfahrungen wurden zum Abrufen des Vorwissens erfragt. Durch die nicht/wenig Beachtung der Ressourcen der Teilnehmer:innen werden diese als vorrangig defizitär in den Kursen konstruiert, was den Selbstwert und das Wohlgefühl negativ belasten kann. Auch weitere Normen und Werte, sowie Rollenverständnisse und Handlungsmuster, die in den Kursen implizit vermittelt wurden, und zahlreiche gesundheitskompetenzbezogene Handlungssituationen konnten im Zuge der Analyse herausgearbeitet werden.

Und auch die Gesundheitsthemen, die im Kontext von Migration etc. besonders bedeutsam werden, wie der Umgang mit dem Verlust der Familie, Aufbau eines sozialen Netzwerkes, Umgang mit Fremden, wird nur in 3 Manuale explizit vermittelt.

Die Scoping Study lieferte sehr detaillierte Informationen über die tatsächliche Umsetzung der Gesundheitskompetenz-Förderung in Sprachkursen. Diese wurden sowohl bei der Erstellung der Ideensammlung als auch bei der Entwicklung der Fortbildung und dieser Webseite berücksichtigt.

Wie wird Gesundheit und Gesundheitskompetenz bisher in DaZ-Kursen verbessert werden? (Analyse der Lehrwerke)

Gesundheit ist fest verankert in den Lektionen dazu, doch steckt

…  noch viel mehr darin.

Da Dozierende in den Gesprächen wiederkehrend auf die Lehrwerke und die darin aufgeführten Aktivitäten als wesentlicher Bestandteil ihres Unterrichts hingewiesen haben, wurden die Lehrwerke detailliert analysiert und ausgewertet. Um ein repräsentatives Sample aller Lehrwerke zu erhalten, wurden aus der Liste der vom BAMF zugelassenen Lehrwerke von jedem Verlag die neuesten Lehrwerke ausgewählt und die Lektionen zu Gesundheit identifiziert. Anschließend wurden jede Aufgabe einzeln und in Progression inhaltsanalytisch ausgewertet (Kuckartz 2012). 8 Lehrwerke von 5 Verlagen plus das Online Sprachlernangebote des Dachverbands der Deutschen Volkshochschulen wurden in die Analyse eingeschlossen.

Entsprechend des Handlungsfeldes Gesundheit/medizinische Versorgung im Rahmencurriculum für Integrationskurse tritt Gesundheit prominent in den Lektionen hierzu auf. Zugleich finden sich gesundheitsbezogene Themen auch in weiteren Lektionen wie Ernährung, Bewegung, Freizeitgestaltung, Freundschaften knüpfen, Umgang mit Stress/Meinungsverschiedenheiten etc. 

Über 150 verschiedene Handlungssituationen wurden identifiziert, nach Wortschatz/Grammatik, Sprachfertigkeit, thematischem Inhalt und Handlungssituation  analysiert und ausgewertet. 

Ergebnisse: Während – wie bei Sprach- und Integrationskurse es das Hauptanliegen ist – die Sprache und die Sprachförderung im Vordergrund stehen, werden die Teilnehmer:innen durch einzelne Aufgaben angeregt, die Inhalte zu betrachten und ggf. auf ihr Leben anzuwenden. Die Lehrwerke bieten unzählige Möglichkeiten, wie ein ‚Orientation-and-Language-Integrated Learning‘ anhand der Materialien vonstatten gehen könnte. Ob diese inhaltliche Orientierung umgesetzt wird, konnte im Rahmen dieser Lehrwerkanalyse nicht beantwortet werden. Inhaltliche Orientierung umfasst – in unserem Verständnis – hierbei nicht nur, welche Ärzte gibt es, an wen ich mich bei welcher Krankheit wenden kann und welche Abläufe es zu beachten gilt, sondern schließt auch die Orientierung darüber ein, welche Themen angesprochen werden und welche nicht, welche soziokulturelle Vorstellungen präsentiert werden und welche nicht, welche Person wie mit wem in welcher Form sprechen kann und welche Rollen zugewanderten Menschen in dieser Gesellschaft oft zugeschrieben werden.

Die Erkenntnisse der bisherigen Vermittlung von Gesundheitskompetenz wurden für die Ausarbeitung der Ideensammlung und der Fortbildung/Webseite herangezogen.

… eine detaillierte Analyse und informative Tabellen  finden Sie in der peer-review Artikel: Harsch, Stefanie; Bittlingmayer, Uwe H. (2020): „State-organized Health Education in Germany – Health Literacy Promotion within Health Compromising Regulations“. In: Socialmedicinsk Tidskrift 97 (3), 454-466

Was denken Lehrkräfte zu Gesundheit und Gesundheitskompetenz-Förderung in DaZ-Kursen? (Befragung)

Gesundheit ist sehr wichtig oder unwichtig ...

… je nach Perspektive der Lehrperson und Zusammensetzung der Kurse. Da Dozierende tagtäglich den Kurs gestalten und die Bedarfe der Teilnehmer:innen unmittelbar mitbekommen, sind sie die geeignetsten Personen, um Auskünfte über die Gesundheit, den Bedarf und die Wünsche zu geben. Hierzu wurden qualitative Expert:innen-Interviews (Friebertshäuser et al. 2013) mit Dozierende und Leitung der Bildungsinstitution aus verschiedenen Hintergründen (Kursformaten, ländlich/städtisch, Dauer der Berufsjahre) durchgeführt. Sie wurden nach ihren Erfahrungen, ihrer Vorstellung von Gesundheit, der Umsetzung von Gesundheit in Sprachkursen und weiteren Perspektiven und Wünschen befragt. 

Ergebnisse: Die Antworten der Dozierenden waren sehr vielfältig und umfassten sowohl Aussagen wie Gesundheit ist ‚nicht relevant‘, weil alle Teilnehmer:innen gesund sind bis hin zu ‚Krankheit ist allgegenwärtig‘. Diese Aussagen zeigen bereits die Spannbreite der Antworten auf und legen zugleich den Möglichkeitsraum der Gesundheitskompetenz-Förderung fest. 

Als Themen führten die Dozierenden zunächst die Lehrwerke und die darin enthaltenen Lektionen zur Gesundheit mit Körperteile, Arzt-Patienten-Gespräch auf aber auch Ernährung. Zugleich berichten sie von den Bedarfen nach mehr Informationen (auch für sie persönlich) über den Aufbau des Gesundheitswesen und der Wunsch nach kostenlosen Erste-Hilfe-Kursen. Weiterhin wurde erläutert, dass Gesundheit und Krankheit durch die Abwesenheit im Kurs (physische, aber auch psychische) und in informellen Gesprächen über die Krankheiten in der Familie auftritt. Zugleich geben die Dozierenden an, dass der Informationsbedarf der Teilnehmenden oft hoch sei und sie selbst wenige Materialien in der Erstsprache an sie weitergeben können. Auch der Wunsch nach Vernetzung mit anderen Personen, die im Leben der Teilnehmer:innen involviert sind, um eine ganzheitlicher Unterstützung leisten zu können, wird von einer Dozierenden angeführt.

Zahlreiche konkrete Beispiele über Gesundheitshandeln der Teilnehmer:innen (z. B. essen zu viel Brot, kochen frisch aber üppig, Spielen Fußball mit anderen Ortsbewohner:innen, Unterstützten sich gegenseitig etc. ) wurden benannt.

Weiterhin erläuterten die Dozierenden zahlreiche Wünsche nach Tipps, Ideen, Materialien, auch Entspannungsübungen, Austausch etc.

Wiederkehrend brachten die Dozierenden jedoch auch ihre eigene Gesundheit zur Sprache und erläuterten die vielfältigen Belastungen, denen sie in ihrer Berufspraxis täglich ausgesetzt sind wie bspw. der hohe Leistungsdruck, der große administrative Aufwand bei der Organisation der Kurse, die belastenden Arbeitsbedingungen, Fragen nach Nähe-und-Distanz im Kontakt mit den Teilnehmer:innen etc. 

Die Expert:innen Interviews gaben viele sehr konkrete Ideen und Anregungen für die Ausgestaltung der Ideensammlung und Fortbildung.

Welche Rolle spielt Gesundheit in DaZ-Kursen? (ethnografische Studie)

Allgegenwärtig, doch wie packe ich's an?...

Um nicht nur durch andere wissenschaftliche Studien, Projektberichte, Manuale, Lehrwerke und die Aussagen der Dozierende das Thema Gesundheit in Sprach- und Integrationskursen zu erforschen, galt es den tatsächlichen Unterrichtsalltag zu erleben. Hierzu wurden zwei Integrationskurse teilnehmend beobachtet und das Setting und das Geschehen im Kurs genau erforscht. Aufgrund der Tatsache, dass Gesundheit ein alltägliches Thema ist und nicht nur in den Lektionen zum ‚Besuch beim Arzt‘ auftritt, wurden die Kurse über 2,5 Monate je zweimal die Woche begleitet. 

Aufmerksam wurden die Rahmenbedingungen des Unterrichtsraums (Ort, Ausgestaltung, Lärmschutz, Lichtverhältnisse, Sitzmöglichkeiten), die Inhalte und insbesondere die Interaktionen zwischen den Teilnehmer:innen sowie mit der Dozierenden beobachtet. Hierbei zeigte sich, dass Krankheits- aber auch Gesundheitsthemen in den Integrationskursen mit Alphabetisierung allgegenwärtig waren z. B. durch das Klagen über Kopfschmerzen, die Erkrankung des Partners, die psychische Belastung wegen des Leistungsdrucks im Kurs, der Tod von Familienangehörigen und die Anteilnahme der Kursteilnehmer:innen, die soziale Unterstützung, der Austausch über Essen, Ärzte, Kindererziehung, Handcremes und Freizeitgestaltungsmöglichkeiten und vieles mehr.

Auch in der Strukturierung des Kurse zeigten sich vielerlei gesundheitsfördernde und -belastende Aspekte.

Ebenso berichteten die Dozierenden von den vielen Herausforderungen (und Ansprüchen) der Kurse (Heterogenität, Abwesenheit der Teilnehmer:innen, Konflikte mit den Teilnehmer:innen, Veränderungen etc.), denen sie nie ganz gerecht werden können.

Diese wertvollen Einblicke flossen in die Planung, Schwerpunktlegung und Ausgestaltung der Ideensammlung sowie der Lehrkräftefortbildung und dieser Webseite ein. 

(Weitere Informationen siehe Publikation in Gesundheitskompetenz (2021) Springer Verlag)

Was braucht’s?

Zur nachhaltigen Verbesserung der Kommunikation zu Gesundheit sind ...

 Wandel der Perspektive auf Gesundheit (nicht nur Gespräch mit Arzt sondern relevant in allen Lebensbereichen)

  • Weitere Ideen zur Thematisierung von Gesundheit in Sprachkursen, die flexibel ausgewählt und angepasst werden können
  • Anerkennung der Belastungen und ein gutes Verständnis für die Ursachen der Belastungen in Sprach- und Integrationskursen sowie Möglichkeiten, diese aktiv zu verändern.
  • Anregungen, um die bisherige Praxis und vermittelten Werte und Normen zu reflektieren
  • Frische Impulse, um Gesundheit neu zu denken und umzusetzen
  • Entspannungsübungen für mich als Lehrperson und meine Teilnehmer:innen
  • Konkrete Vorschläge der Umsetzung z. B. der Organisation von Ausflügen und Gastvorträgen von Fachkräften aus der Medizin, Psychotherapie, Beratung
  • Austauschmöglichkeiten und Vernetzung
  • Unterstützung der Institutionsleitungen
  • Erweiterung des Gesundheitsverständnis im Rahmencurriculum (Einschließen der Ressourcen zur Gesundheitserhaltung und Gesundheitsförderung) und der Lehrwerksverlage


Intervention: Unterstützung und Befähigung der Dozierenden

Entwicklung: Wie sind wir vorgegangen?

Ziele der Fortbildung ..

… sind, die Dozierenden durch die vielfältigen Materialien, Beispiele Guter Praxis, für die Praxis wegweisenden kurzen theoretischen Inputs, Reflexionsfragen und Austauschmöglichkeiten zu befähigen, Gesundheit und Gesundheitskompetenz bewusster in ihren Kursen aufzugreifen.

Aufbauend auf die multimethodische Studie wurden die zentralen Bedarfe und Ansatzstellen identifiziert. Daraufhin wurden Lösungen entwickelt und diese für die Ideensammlung, die Fortbildung und die Webseite aufbereitet. Die Ideensammlung und der Aufbau der Fortbildung wurden mit Dozierenden eingehend diskutiert und ihre Anregungen aufgenommen.

Im November 2020 wurde die Ideensammlung veröffentlicht und u.a. über die Webseite Erstorientierung.de vielen Dozierenden und Ehrenamtlichen in der Arbeit mit zugewanderten Menschen zugänglich gemacht. Dozierende sind herzlich eingeladen, ihre eigenen Ideen und Vorschläge den Herausgeber:innen zuzusenden, die dann gerne aufgenommen werden.

Die Webseite wurde im Januar 2021 fertiggestellt und gelauncht. Hier können sich Dozierende und Interessierte über das Thema Gesundheit in Sprach- und Integrationskursen ausführlich informieren. Gerne können Sie auch Feedback dazu abgeben.

Im Frühjahr und Sommer 2021 werden mehrere Workshopreihen online stattfinden und der Selbstlernkurs (Vertiefung@Home) geöffnet.


Weitere Einblicke (Präsentationen und Publikationen)

Wertvolles Feedback erhielten wir ..

im wissenschaftlichen Austausch mit Expert:innen aus dem Bereich Public Health sowie der angewandten Sprachwissenschaft und DaZ-Didaktik. Hier eine Auswahl an Vorträgen und Präsentationen.

  • Harsch, Stefanie; Bittlingmayer, Uwe H. (2020): „State-organized Health Education in Germany – Health Literacy Promotion within Health Compromising Regulations“. In: Socialmedicinsk Tidskrift 97 (3), 454-466.
  • Harsch, S.; Islertas, Z.; Sahrai, E.; Bittlingmayer, U. H. (2018): „SCURA: Exploring and Promoting Health Literacy of Migrants and Refugees in Educational Settings“. In: European Journal of Public Health 28 (suppl_4).
  • Harsch, Stefanie (2019): Advancing Health Literacy of People with Migration History in Language Courses – a Systematic Review: Interdisciplinary Perspectives on Refugee Migration and Health, 4th Fluege Symposium, 2019 in Bielefeld.
  • Harsch, Stefanie (2019): Gesundheit in Sprachkursen: DaFWEBKON – Webkonferenz für Deutschlehrende, 8. März 2019 Online.
  • Harsch, Stefanie; Bittlingmayer, Uwe H. (2019): Health Literacy Promotion of Refugees in Second Language Courses – Empirical Evidence and the Role of Assets. Universitaet Roskilde. 9th Nordic Health Promotion Research Conference. Roskilde, Dänemark, 2019.
  • Harsch, Stefanie (2019): „Entwicklung einer Lehrkräfte-Fortbildung und eines Unterrichtsentwurfs zur Förderung der (psychischen) Gesundheitskompetenz und des Wohlbefindens in Sprach- und Integrationskursen“. Freiburg: University of Education Freiburg.
  • Harsch, Stefanie; Bittlingmayer, Uwe H. (2019): Promoting Family Health Literacy of Vulnerable Populations in Education Settings – the Role of Second Language Courses. 5th European Conference on Health Promoting Schools. Schools for Health in Europe. Moskau, Russland, 20.11.2019
  • Harsch, Stefanie; Bittlingmayer, Uwe H. (2020): Die Bedeutung der Gesundheit(skompetenz) zur Förderung des Sprachenlernens – Ergebnisse des BMBF geförderten Forschungsprojekt SCURA. Unterrricht. Bayreuth, 18.01.2020.
  • Harsch, S., & Bittlingmayer, U. (2020). Conceptualizing health literacy promotion in second language courses based on a realistic review. European Journal of Public Health, 30(Supplement_5), ckaa166-446.
  • Harsch, Stefanie (2020): Mental health and (second) language – empowering migrant children by strengthening parents’ mental health literacy. Atlantic Policy Forum on Mental Health Promotion, August 24-26th, 2020.

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